An der See
Während einer Zugfahrt von Paris nach Brüssel schildert der Erzähler lebhaft die Sommer seiner Kindheit am Meer im belgischen Ostende der Nachkriegszeit. Mit Kind und Kegel wird Sommer für Sommer ein Apartment bezogen. Die "Kinners", Cousinen und Cousins, Geschwister, Mutter, Oma, Tanten, Onkel sind mit von der Partie. Ein eigener Kosmos von Kartenspiel, Kinosaal, Kodak, Korsett entfaltet sich hier und man sieht mit den Augen des Erzählers die Seifenblasen, die Strandspiele und fühlt geradezu den Sonnenbrand. Der Erzähler ist ein sehr feiner Beobachter. Man folgt seinen Gedanken, Erlebnissen, Erkundungen. Er beschreibt seine Strandspaziergänge, seine Mutter beim Sonnenbaden, Tante Mimi beim Sticken und Häkeln, die wechselnden Amouren seines Bruders, englische Touristen, die Bademode, Ausflüge in die Bibliothek, zu Ausstellungen, Maskenbällen. In der Paris Match verfolgt er den Machtkampf zwischen Sophia Loren und Gina Lollobrigida. Man hört die Mücken und riecht das Meer. Die Aufgabe, einen Schulaufsatz über "Meine Ferien" zu schreiben, bereitet ihm jedes Jahr große Schwierigkeiten: "Wie sollte er erklären, dass der Sommer an der See für ihn keine Ferien, sondern das normale Leben war und ihm die Schule als eine unerträgliche Unterbrechung und Störung dieses Lebens erschien." (S.139f.) Schöne Erzählkunst für Freunde von Strand und Meer, empfohlen auch als Urlaubslektüre!
Melanie Schubert
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
An der See
Eric de Kuyper ; aus dem Niederländischen von Gerd Busse
Wagenbach (2024)
Wagenbach Salto ; 283
139 Seiten
fest geb.