Ins Weiße zielen
"Ein Täter, ein Verdächtiger, ein Motiv, Zeugen" und ein "Koffer voller Zaster": Die für einen guten Krimi benötigten Ingredienzien werden vom argentinischen Autor Ricardo Piglia bereitgestellt. Virtuos erzählend hinterfragt der in seiner Heimat populäre Schriftsteller (Jahrgang 1941) die mit der Ermordung des Nordamerikaners Tony Durán zusammenhängenden Ereignisse. Was hatte ein Mann mit Witz und Charme in einem öden Pampadorf zu suchen? War er den exaltierten Zwillingstöchtern des Fabrikbesitzers Belladona nachgereist? Hatte ihn der einflussreiche Grundbesitzer als Schwarzgeld transportierenden Kofferboten engagiert? Wenn der eigenwillig recherchierende Kommissar Croce zur Überzeugung gelangt, dass es sich um einen mit Immobilienspekulationen verbundenen Auftragsmord handelt, widerspricht er Staatsanwalt Cueto, der einen Hotelportier als Täter verurteilt sehen möchte. Weil Cueto über ein perfekt funktionierendes System von Abhängigkeiten und daraus resultierenden Verstrickungen verfügt, gelingt es ihm, den unbequemen Kommissar von den Ermittlungen auszuschließen. Korruption, Intrigen, Verrat, Mord und Selbstmord - der unbestechlich analysierende Autor zeichnet ein Gesellschaftsbild, das die Annahme des Journalisten Renzi, es handle sich um eine dörfliche "Welt voller gutmütiger Menschen", ad absurdum führt. Insofern ist der gelungen übersetzte Roman nicht nur als pointierter, anspruchsvoller Krimi zu empfehlen, sondern auch als ein Fiktives mit Authentischem verbindender Bericht, der über das Argentinien der 1970er Jahre informiert. (Übers.: Carsten Regling)
Kirsten Sturm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Ins Weiße zielen
Ricardo Piglia
Wagenbach (2010)
Quartbuch
252 S.
fest geb.