Die Sprache der Vagabunden
Der Literaturwissenschaftler Martin Puchner beschäftigt sich in diesem aufschlussreichen Buch mit der Geschichte des Rotwelsch, einer Geheimsprache, die auch auf unrühmliche Weise mit seiner Familiengeschichte verknüpft ist. Deutlich erinnert er
sich an Bilder aus seiner Kindheit, als seltsame Gestalten an die Tür seines Elternhauses in Nürnberg kamen, die sich in einer sonderbaren Sprache verständigten und denen seine Mutter Wasser und belegte Brote brachte. Sein Onkel zeigt ihm ein an seinem Elternhaus eingeritztes Zeichen (Zinken), das vorbeikommenden Vagabunden, aber auch Bettlern sagt, dass man hier etwas zu essen bekommt. Fasziniert beginnt der Autor mit seiner Spurensuche, die letztlich zur Dechiffrierung dieser geheimnisvollen Sprache und ihrer Symbole führt. Die sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rotwelsch (Sammelbegriff für Sondersprachen gesellschaftlicher Randgruppen) wird für ihn zum Hauptthema. Bei der akribischen Suche nach stichhaltigen Belegen findet er einen Artikel seines Großvaters aus dem Jahre 1934, der "Familiennamen als Rassemerkmal" zum Thema hat und sich ganz im Sinne der NS-Ideologie extrem antisemitisch positioniert und diesen Judenhass auf das Rotwelsch überträgt, dessen Wurzel er ausschließlich im Hebräischen sieht, obwohl die Wortbildungen meist einen Sprachmix aus Deutsch, Jiddisch, Tschechisch und Romanes darstellen. In seinen weiteren Recherchen zeigt sich dem Autor ganz deutlich, dass das Rotwelsch niemals eine eigene Sprache mit festgeschriebenem Vokabular und verpflichtender Grammatik war, sondern ein äußerst probates Mittel, um sich innerhalb eines bestimmten Milieus verständigen zu können, aber Außenstehenden diese Informationen verborgen blieben. - Sehr interessant und informativ, großen Beständen zu empfehlen!
Inge Hagen
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Die Sprache der Vagabunden
Martin Puchner ; aus dem Englischen von Matthias Fienbork
Siedler Verlag (2021)
288 Seiten
fest geb.