Traumschiff
Gregor Lanmeister befindet sich auf einer Kreuzfahrt, seiner letzten Reise. Während andere Passagiere in den Häfen an Land gehen, bleibt er, so wie 144 weitere Passagiere mit dem "Bewusstsein", an Bord. Der 70-Jährige ist körperlich angeschlagen, bringt Zeiten und Gesichter durcheinander, manchmal fehlen ihm Teile des Tages. "[E]s stimmt zwar, ... dass wir vergessen. Doch das Bewusstsein füllt sich. Das Bewusstsein ersetzt das Bewusstsein." (S. 78) Er hat sich zurückgezogen in ein schützendes Schweigen, schaut den Möwen nach, erfreut sich an den Mantas im Meer, freundet sich mit Monsieur Bayoun an und verliebt sich heimlich in die junge Pianistin Kateryna. Während Lanmeister auf dem Traumschiff dem Tod entgegen fährt, lebt er ganz im Jetzt. Zwar erinnert er sich gelegentlich an die Zeit davor, als er noch mit unlauterem Geschäftsgebaren sein Geld verdiente, an die Scheidung, seine Geliebten, den Bruch mit seinem Sohn, oder an ganz früher, aufgewachsen bei der Großmutter und als Russenkind verschimpft. Aber das spielt alles keine Rolle mehr. Doch wer ist diese unbekannte Person, die ihn besucht und immer wieder heult? - Anfangs irritierten beim Lesen holprige Sätze oder die schwer fassbare Verwendung des Begriffs Bewusstsein der inneren Selbstgespräche bzw. an Kateryna gerichteten Aufzeichnungen, aus denen der Roman besteht. Dann werden diese als Ausdruck der fortgeschrittenen Demenz deutlich. Wer dranbleibt, wird mit einer zarten, einfühlenden Erzählung belohnt, die auch die Fragen nach dem Letzten nicht scheut.
Barbara Sckell
rezensiert für den Borromäusverein.
Traumschiff
Alban Nikolai Herbst
Mare (2015)
317 S.
fest geb.