Deutschsein
Die Frage nach dem Nationalempfinden der Deutschen wird beim Autor, dem Nachkommen türkischer Immigranten, rasch zur Frage, wie sich Einwanderer in Deutschland heimisch fühlen können. Das Nationalgefühl sei durch die Nazizeit ganz verunsichert, die heutzutage gesprochene deutsche Sprache erscheine aus türkischer Sicht gefühlsarm, woraus sich die emotionale Unsicherheit der Deutschen gegenüber dem Fremden erkläre. Inzwischen versuche man durch Abgrenzung gegenüber den massenhaft Eingewanderten eine wenig glückliche Selbstfindung in einer "schleichenden Fundamentalisierung des Selbstverständnisses der abendländischen Zivilisation" oder mit dem Begriff "Leitkultur". Eine genaue Analyse ist nicht die Stärke dieses Buches, das das Werk eines Dichters ist. Zwar untersucht er kenntnisreich die deutsche Literatur des 20. Jh., seine Stärke liegt aber mehr in der Darstellung von Befindlichkeiten der Deutschen wie der Einwanderer in bildkräftiger Sprache. Ein Verdienst ist es auch, die oft unterschwelligen Ängste und Sehnsüchte anzusprechen. Die Assimilierung der Immigranten erscheint Senocak als nicht wünschenswert; er redet vielmehr einem vielsprachigen Nebeneinander von verschiedenen Völkerschaften auf deutschem Boden das Wort. - Für größere Bestände.
Bernhard Grabmeyer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Deutschsein
Zafer Senocak
Ed. Körber-Stiftung (2011)
190 S.
fest geb.