Die lichten Sommer
Liz kämpft Ende der 60er Jahre als Tochter einer Vertriebenenfamilie um Teilhabe an Ausbildung und eigener Entwicklung. Mutter Nevenka wie Vater Stanislaus, Vertriebene aus dem Naziprotektorat Mähren, unterstützen sie nicht, sondern ordnen die Interessen der Tochter dem Fortkommen der Familie unter: aus der Notunterkunft in eine Barackensiedlung, in ein zerfallenes Haus mit eigener Gaststätte. Liz ordnet sich mit ihrer Energie und ihrem Fleiß unter. Es gelingt ihr - im Unterschied zu den drei Geschwistern - nicht, sich von den belasteten Erinnerungen der Mutter an die letzten Kriegsjahre zu distanzieren. In die Beziehung zu dem einheimischen Gastwirtssohn Robert legt sie alle ihre Zukunftshoffnungen, ohne mehr Selbständigkeit zu gewinnen. Robert stellt Haushalt und Kinder in der Wirtschaftswunderperiode über die Entwicklungswünsche seiner Frau. Dennoch übernimmt er neben dem Emanzipationskampf gegen seine Herkunftsfamilie zeituntypisch regelmäßig Familienarbeit - neben seiner beruflichen Doppelbelastung. Dieses Engagement genügt jedoch nicht, die durch Arbeitsbelastung und teils mystische Vertreibungstraumata der Mutter geschwächte Liz ausreichend zu unterstützen. - Ein hartes Stück Lebensrealität im Nachkriegseuropa. Kuchers Romanerstling (in einem ambitionierten jungen Verlag) ist aus der Recherche im tschechischen Želetice für ein WDR-Hörspiel (Klappentext) entstanden. Die literarische Fassung der Lebensverläufe von Tochter und Mutter verknüpft Kucher sprachlich wie dramaturgisch nicht immer überzeugend, sondern bleibt immer wieder im Dokumentarischen stecken. - Für zeitgeschichtliche Interessierte und größere Romanbestände.
Rolf Pitsch
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Die lichten Sommer
Simone Kucher
Kjona Verlag GmbH (2024)
237 Seiten
fest geb.