Suite française

Paris im Juni 1940 kurz vor der Besetzung: wohlhabende Bürger nehmen die militärische Bedrohung als persönlichen Angriff wahr, man plant die Flucht aufs Land, lässt Wertvolles in Sicherheit bringen. Doch schon kurz hinter Paris werden die Fliehenden mit der bitteren Wirklichkeit konfrontiert: die Versorgung ist mangelhaft, das Benzin rationiert und die Deutschen rücken immer näher. Nur wenigen gelingt es, charakterfest zu bleiben, wenn ringsherum chaotische Zustände herrschen, in denen jeder nur seine Haut retten will. Der Roman "Suite francaise" der französischen Jüdin Némirovsky wurde zwischen 1940 und 1942 verfasst; die Autorin 1942 nach Auschwitz deportiert. Das Manuskript konnte von ihren Töchtern gerettet und mehr als 60 Jahre später als großer, vielgerühmter Roman publiziert werden. Ihn als Graphic Novel zu adaptieren, verlangt die Konzentration auf einige wenige Personengruppen, deren Schicksal man verfolgt. Zu eigen ist allen das ungläubige Staunen über die Zustände der eigenen, kleinen bürgerlichen Welt. Die großen politischen Zusammenhänge begreift niemand, erst recht nicht, als die Rückkehr ins besetzte Paris beginnt und sich viele mit den deutschen Truppen "arrangieren". Von diesem Zerfall der (christlichen) Moralität gibt diese Graphic Novel beredt Auskunft. Die Dialoge der Figuren geben das familiäre Konstrukt aus Befehl und Gehorsam wieder, kaum findet ein ernstzunehmender Diskurs über die politischen Dimensionen statt. Den Illustrationen sieht man die Schule Jacques Tardis an: nervös hingestrichelte Portraits geben als Charakterstudien viel preis von den inneren Zerwürfnissen. Die Palette in Schwarz-Grau-Weiß zeichnet die heißen Sommertage in düsteren Noten, die in Kriegslandschaften eingeschrieben sind. Im Vergleich zum Roman muss das Medium des Comics natürlich reduzieren, doch werden hier Ausdrucksmittel bereitgehalten, die den Betrachter diese Katastrophe in einer potenzierten Form miterleben lassen.