Ein russischer Roman
Der 1957 geborene Schriftsteller und Regisseur Emmanuel Carrère gilt als mitreißender Erzähler, der sich ohne falsche Scham und als kaltblütiger Zeuge an die eigenen Glaubens- und Leidenskrisen macht, zuletzt in "Das Reich Gottes" (BP/mp 16/383).
"Ein russischer Roman" (im französischen Original schon 2008 erschienen) führt auf die Spuren einer tabuisierten Familiengeschichte, einer Erinnerungsgruft: Sein georgischer Großvater war ab 1944 im Krieg verschollen und wurde wahrscheinlich als Kollaborateur hingerichtet. In einem russischen Provinzort besinnt sich der Ich-Erzähler aber auch auf eigene Lebensspuren und hat mit drei starken Frauen zu kämpfen: seiner Mutter, seiner Geliebten und einer russischen Dolmetscherin. Diese Geschichten erzeugen einen Strudel, in dem der Erzähler manchmal mühsam seinen Kopf über Wasser halten muss. Man nimmt ihm den Versuch einer "Psychoanalyse unter freiem Himmel" ab, doch die dunklen Flecken in der Emigrationsgeschichte der Familie bleiben. Ein packender Roman, vorzüglich übersetzt von Claudia Hamm.(Übers.: Claudia Hamm)
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.

Ein russischer Roman
Emmanuel Carrère
Matthes & Seitz (2017)
281 S.
fest geb.