Dreimal spucken

Guido und seine Freunde wachsen in der italienischen Provinz auf. Als Kinder durchsteifen sie auf ihren Fahrrädern die Gegend, als Jugendliche vertreiben sie sich die Zeit mit Drogen. Am Rand des Dorfes leben Zigeuner, deren unklare Familienverhältnisse Dreimal spucken für Tratsch im Dorf sorgen. Loretta, ein geistig behindertes Roma-Mädchen, übt eine eigenartige Faszination auf die Jungen aus. Diese umfangreiche autobiografische Graphic Novel lässt die Leser tief eintauchen in die 60er Jahre. Die Zigeuner erscheinen den Kindern als Bedrohung, aber auch als interessantes Gegenbild zu ihrem als bedrückend empfundenen Leben. Ihre Versuche, aus der provinziellen Enge zu entfliehen, sind an den Assoziationsraum gekoppelt, der mit den Zigeunern verbunden ist. Gewalt, Sexualität und Drogenerfahrungen werden hier als Motive verhandelt, die den Jugendlichen als Ventile dienen. Auf der Bildebene werden alle Register der Zeichenkunst gezogen, um diese Erinnerungen aufscheinen zu lassen. Markante Porträts, eintönige Landschaften, verlaufene Konturen, ineinander verschränkte Szenarien und bewegte Panels sorgen für eine atmosphärische Vagheit, die der Rückschau auf Ereignisse in der Jugend zu eigen sind. Auch die Texte changieren zwischen dem Bewusstseinsstrom, zerfetzten Dialogen und unlesbaren Chiffren. Das Schluss-Kapitel widmet sich der polnischen Roma Papusza Bromislawa Wajs, deren Gedichte von der Verfolgung der Zigeuner im Nationalsozialismus erzählen. Wie individuelle Lebenswege im Großen der europäischen Geschichte aufgehen, zeigen die hier gebündelten biografischen Skizzen auf beeindruckende Weise.

Dominique Moldehn

Dominique Moldehn

rezensiert für den Borromäusverein.

Dreimal spucken

Dreimal spucken

Davide Reviati ; aus dem Italienischen von Myriam Alfano
avant-verlag (2020)

564 Seiten
kt.

MedienNr.: 601750
ISBN 978-3-96445-042-5
9783964450425
ca. 34,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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