Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs

Zhuang Zigui erlebt in einer Road Novel zwischen chinesischer Provinz, Beijing und Tibet die Grausamkeiten, Tollereien und Kämpfe der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ (1966-1976, bei Liao Yiwu bis zu Maos Tod datiert). Yiwu begann den Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs Roman im Gefängnis 1992 und stellte für die Buchveröffentlichung (2016 in Taiwan) die einzelnen Episoden der Handlung zusammen. Da lebte er bereits im Exil in Deutschland. Sein Romanheld ist zunächst begeisterter Rotgardist, denunziert und schlägt für die eigene revolutionäre Karriere die Eltern, erfährt dann aber in den einzelnen Liebesepisoden eine Wandlung zum unglücklichen Menschen, dessen Liebe zur klassischen chinesischen Literatur wie zur Heimatprovinz stärker sind als die Aussichten, nach Maos Tod eine Karriere in der post-kommunistischen Ära zu beginnen. Was mit einer Liebesszene im Gepäcknetz des Zuges nach Beijing beginnt, sodann die Massenbewegung der Roten Garden, Antreiber der Kulturrevolution, deftig und mit ausgiebigen Fäkalszenen der Lächerlichkeit und Absurdität preisgibt, steigert sich zu einer grotesk und meist bitter anmutendem Kontrastierung von tradierter Kultur und maoistischer Revolution, in deren Mitte die Hauptfigur allmählich zu sich selbst findet. Dies bedeutet auch die Rückkehr in Erzähllinien der klassischen Romane (besonders „Die Räuber vom Liang-Shan Moor“ und „Der Traum von der roten Kammer“). Liao Yiwu schreibt die chinesischen Klassiker fort, und benutzt die einst verbotenen Verse und Handlungsmotive, die jüngere, traumatisierende Geschichte Chinas zu fassen. Wegen der doch recht freizügigen und derben Beschreibungen sowohl von Verdauungs- wie Paarungsvorgängen ist das Buch für empfindliche Leser/-innen weniger geeignet. Wer es in den Kontext chinesischer Literaturgeschichte einordnet, die solche Schreibweisen zu Stil- und Kunstmitteln jenseits der Pornografie und uns angestammter Moralvorstellungen entwickelt hat, wird den sarkastisch anmutenden Witz dieses Buches schätzen. Die geschmeidige Übersetzung trifft die unterschiedlichen Tonlagen des lyrisch Zarten bis derb Grotesken recht gut. Der Roman sei aufgrund der angedeuteten verstörenden Wirkung vieler Passagen, einem kundigen Lesepublikum empfohlen.

Helmut Krebs

Helmut Krebs

rezensiert für den Borromäusverein.

Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs

Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs

Liao Yiwu ; aus dem Chinesischen von Brigitte Höhenrieder und [einem weiteren]
S. Fischer (2023)

447 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 614332
ISBN 978-3-10-397291-7
9783103972917
ca. 26,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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