Die Imker

Gerhard Roth, der 2022 in Graz verstorben ist, hat ein letztes Werk hinterlassen. Man kann es getrost ein Vermächtnis nennen. Der Roman bündelt die Themen seiner Vorgängerbücher: die Machtproben zwischen Mensch und Natur, die Gratwanderungen zwischen Die Imker dem, was wir Wirklichkeit nennen, und dem Wahnsinn, die Aktionsspielräume im Katastrophenfall. Die epische Szene wird mit einem Paukenschlag eröffnet: Am Morgen des 1. April fällt gelber Nebel ins Land, alle Menschen verschwinden, nur nicht die Insassen, Pflegekräfte und Ärzte einer psychiatrischen Anstalt für Künstlerinnen und Künstler. Auf über 500 Seiten erzählt Roth, wie die Überlebenden in ein ehemaliges SOS-Kinderdorf ziehen und dort eine Bienenzucht aufbauen. Glücklich wirkt das Imkerleben nicht, und für den Chronisten, den der Autor aus den kalten postkatastrophischen Zeiten erzählen lässt, ist der Mensch immer noch aus krummem Holz geschnitzt. Bis zur Friedhofsstille, die am überraschenden Ende der Handlung aus heiterem Himmel einbricht, ereignet sich nicht viel. Umso mehr wird räsoniert über die unverbesserliche Menschheit, über Gott und Kirche, über vermeintliche Lichtgestalten und dubiose Dunkelmänner, über das Verstehen von Tierstimmen, über die Verwandtschaft des Schreibens mit den Bienen: Aus den Wörtern saugt der Erzähler seinen Nektar. Aber es fließt, um im Bild zu bleiben, nicht immer Honig aus den Episoden, die Lesenden finden sich manches Mal auf Holzwegen oder in Irrgärten. Gleichwohl hat der Roman einen starken Sog, eine Dystopie über das Schicksal von Eingeschlossenen, eine Parabel auf Macht und Ohnmacht der Fantasie.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Die Imker

Die Imker

Gerhard Roth ; mit Illustrationen von Erwin Wurm
S. Fischer (2022)

549 Seiten : Illustrationen
fest geb.

MedienNr.: 609175
ISBN 978-3-10-397467-6
9783103974676
ca. 32,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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