Wenn niemand nach dir sucht
Die junge schwarze Mutter Cleo, die „Lady in the Lake“ (Originaltitel), stellt sich zu Beginn selbst vor: Sie ist die Tote, deren Schicksal nie untersucht wurde, bis Maddie Schwartz, die Gattin eines erfolgreichen Weißen, beschließt, ihren Mann zu verlassen und endlich etwas „aus ihrem Leben (zu) machen“. In ihrem neuen Leben lernt sie Judith, eine junge Jüdin kennen, die sich von ihrer strengen Familie befreien will, und die ihre Wohnungsgenossin wird. Als in der Stadt ein junges Mädchen vermisst wird, beteiligt Maddie sich an der Suche und findet das Mädchen - tot. Maddie ist entrüstet, dass der Mord an einem weißen Mädchen großes Aufsehen erregt, während das Auffinden einer toten Schwarzen im See noch nicht einmal eine Schlagzeile in der Zeitung wert war. „Wenn Farbige sterben, sind das keine großen Storys“. Durch ihre Nachforschungen bekommt sie jede Menge Ärger - bis zum fulminanten Schluss. - Die Geschichte, die in den 1960er Jahren spielt, wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt: Maddie, Judith, ein schwarzer Polizist, der Maddie besucht, ein Kolumnist, der Tatverdächtige und auch aus Cleos Perspektive, deren verkorkstes Leben immer wieder kursiv eingeblendet wird; als Schwarze hatte sie nie eine Chance, besonders nicht mit zwei unehelichen Söhnen. Niemand hat sie vermisst, als sie verschwand. Die US-Autorin Laura Lippman schildert in ihrem Roman, wie rassistisch und sexistisch Mordermittlungen in der rassistischen Gesellschaft der 1960er Jahre waren - und vielleicht noch sind -, ein „uraltes System, in dem Männer Erfolg hatten und unbequeme Frauen einfach verschwanden“. Ein höchst spannender Gesellschaftsroman.
Ileana Beckmann
rezensiert für den Borromäusverein.
Wenn niemand nach dir sucht
Laura Lippman ; aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Bielfeld und [einem weiteren]
Kampa (2021)
375 Seiten
fest geb.