Gehen allein unter Menschen
Ein unbenannter Erzähler ist unterwegs in den Straßen der Metropolen dieser Welt, in geheimer Mission, wie er sagt. „Ich bin … das, was mir vor Augen kommt, was ich höre, … alles in mich aufzunehmen, alles einzusammeln“ (S. 21). Sein Hilfsmittel ist das Aufnahmegerät seines Handys und allerlei Papierzettel, die er aufhebt. Er lässt sich treiben, sieht sich darin als Erbe von Thomas de Quincey, der im 19. Jahrhundert als Opiumkonsument über die Londoner Oxford Street lief und alles aufschrieb, was er erlebte. Oder von Edgar Alan Poes Protagonist aus der Erzählung „Der Mann der Menge“, der 24 Stunden lang einem Unbekannten durch London folgt. Das sei auch „eine Geschichte ohne Handlung. Es könnte ein Prosagedicht sein“ (S. 51), schreibt er. - Und das könnte auch eine Beschreibung dieses 500-Seiten-Wälzers von Antonio Munoz Molina sein, eines wichtigen Gegenwartsautors Spaniens. Wer als Leser/-in durchhält, kann dem „Dokumentarischen, Unbändigen und Visionären“ durchaus etwas abgewinnen. Besonders im zweiten Teil, in dem der Erzähler den New Yorker Broadway von seiner Südspitze bis zur Bronx hochwandert, von der Luxusgegend über die verschiedenen Ausländerviertel bis zu Poes letztem Wohnhaus.
Karin Blank
rezensiert für den Borromäusverein.
Gehen allein unter Menschen
Antonio Muñoz Molina ; aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen
Penguin Verlag (2021)
539 Seiten : Illustrationen
fest geb.