Liebe wird überschätzt

Gleich die titelgebende Geschichte ist raffiniert aufgebaut mit einem überraschenden Schluss: Ein Ehepaar fährt mit der fast erwachsenen Tochter in Urlaub. Während der Zugfahrt träumt die Frau von ihrem Geliebten, den sie seit Jahren regelmäßig trifft. Der Mann ist Arzt, seine Affären werden nur angedeutet. Doch plötzlich wirft die Tochter, die die Ehe zusammenhält und um die sie sich immer Sorgen machen, den beiden Heuchelei vor. Ehebruch ist für sie nicht "anständig oder unanständig"; sie glaubt, dass "Menschen ... die Liebe zu wichtig nehmen". In einer weiteren Erzählung führt eine 50-jährige Lehrerin ihre gebrechliche Mutter, deren Pflege sie übernommen hat, zum Essen aus, denkt an die verschiedenen Liebesbeziehungen in ihrem Leben und an das Altwerden. Für sie ist "das Fest ... vorüber". Und dann machen sie die Blicke eines Kellners unruhig, doch sie hält sich für zu alt für eine Affäre. Schließlich entscheidet sie sich, einfach nur zu genießen und entdeckt, "dass es uns allen leichtfällt, bei einem Fest dabei zu sein, aber wichtiger ist, wie man sich am nächsten Tag fühlt". Schon diese beiden Erzählungen sind großartig. Allen Geschichten gemeinsam ist, dass in ein gleichförmiges Leben plötzlich etwas Unerwartetes einbricht. Die italienische Autorin erzählt von verschiedenen Arten der Liebe, anrührend, ironisch, unsentimental. Für literarisch interessierte Leser. Die Erzählungen eignen sich auch gut für Literaturkreise. (Übers.: Annette Kopetzki)