Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe

Wer eine vollständige Liste mit allen vergessenen Dingen anlegt, muss trotz dieser Vergesslichkeit eine gute Erinnerung haben. Die Figur, die die österreichische Schriftstellerin und Kolumnistin Doris Knecht ins epische Rennen schickt, steht sozusagen Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe an der Abbruchkante des Familienlebens. Dort ist sie bereit, ihr altes Leben zu vergessen und das zu inventarisieren, was wert ist, in ein neues mitzukommen. Die Zwillingskinder sind fertig mit der Schule und verlassen die Wohnung, die auf einmal viel zu groß ist, der Vater lebt schon längere Zeit nicht mehr bei der Familie. Gegenüber ihren vier jüngeren Schwestern, die anscheinend glücklich verheiratet sind, befindet sich die Ich-Erzählerin ebenso wie gegenüber den Eltern, von deren Familienleben auch der Putz abbröckelt, in einer Minderheitsposition, aus der sie allerdings das Beste macht: indem sie frank und frei erzählt, welche Möglichkeiten ihr nunmehr offen stehen, welche Chancen sich ihr auf dem Wohnungs-, Arbeits- und Partnerschaftsmarkt bieten, worauf sie selbst verzichten kann (auf ihre kobaltblaue Seidenbluse und die High Heels, bis auf die des Modedesigners Helmut Lang) und was sie braucht (eine eigene Wohnung mit Sperrholzmöbeln, einen Hund). Eine eindringliche, mit Humor gewürzte weibliche Lebensselbstbefragung, eine Inventur in der Lebensmitte, sehr empfehlenswert.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe

Doris Knecht
Hanser Berlin (2023)

236 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 751973
ISBN 978-3-446-27803-5
9783446278035
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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