Sehr geehrter Herr M.

Ein verliebtes Teenager-Pärchen, ein abgewiesener Lehrer, der dem Mädchen nachstellt, ein geheimes Treffen, bei dem der Lehrer spurlos verschwindet, das sind die Fakten, aus denen der Schriftsteller M vor vierzig Jahren einen Roman konstruiert hat, der zum Bestseller wurde. Seitdem hat er noch einige Bücher mehr geschrieben, die ihn einigermaßen bekannt gemacht haben, aber ihm ist nie wieder so ein Erfolg gelungen. Jetzt ist er in einem Alter, in dem ihn zunehmend der Gedanke beschäftigt, was von seinem Werk bleiben wird. Das ist der eine Erzählstrang. Der andere handelt von kuriosen Briefen an M, von denen der Leser nicht weiß, ob sie ihn überhaupt erreichen. Absender der Briefe ist ein Mann, der damals in das Geschehen involviert war, und als einziger zu wissen scheint, was wirklich passiert ist. M wird in den Briefen ein Spiegel vorgehalten und kommt dabei gar nicht gut weg, er erscheint als kleinlicher, angeberischer Mensch und mittelmäßiger Schriftsteller. Als auch das damals beteiligte Mädchen zu Wort kommt, wird immer deutlicher, dass vieles im Unklaren geblieben ist. - Dieser neue Roman von H. Koch ist trotz des verschachtelten Aufbaus und der verschiedenen wechselnden Perspektiven sehr gut lesbar. Den Spannungsbogen erhält die Geschichte dadurch, dass der Leser im Unklaren bleibt darüber, wer was weiß. Am besten gelungen und äußerst unterhaltsam sind die Beschreibungen aus dem Literaturbetrieb. Die Schriftsteller- und Verlagsszene wird witzig und tiefsinnig aufs Korn genommen, überall menschliche Eitelkeiten entlarvend. Ein süffisanter, teils giftiger, teils tiefgründiger, glänzend geschriebener Roman, der in jeder Bücherei angeboten werden sollte. (Übers.: Christiane Kuby u. Herbert Post)