Tante Martl

Martl Merisault war die jüngste von drei Töchtern eines Gefängniswärters aus Zweibrücken. Der Vater hätte unbedingt einen Sohn haben wollen und ließ dies das lebhafte und auch störrische Mädchen zeitlebens merken. Und das, obwohl sie ihn viele Tante Martl Jahre pflegte. Zwischen Martl und Rosa, der Mutter der Ich-Erzählerin, herrschte eine hartnäckige Geschwisterrivalität, denn Rosa wusste sich in Szene zu setzen, während Martl immer für Zurückhaltung war. Objektiv führte jedoch die Tante das interessantere und emanzipiertere Leben. Sie war immer berufstätig, machte als einzige der Schwestern einen Führerschein und reiste ins Ausland, blieb aber unverbandelt. Rosa dagegen hatte einen Drang zum Höheren, der aber im Laufe der Jahre in ein permanentes Kränkeln und Hilflossein umschlug. Die Nichte war der Tante stets sehr verbunden trotz deren manchmal recht schroffen Wesens. Erst bei der Beerdigung wurde ihr bewusst, wie geschätzt Martl als Lehrerin gewesen war. - Nahestehend, aber dennoch distanziert agiert die Nichte im Roman. Sie trägt aus ihrer Perspektive viel zur Aufhellung der "Schwesternhassliebe" bei und zieht zeitgerechte Parallelen, wodurch die frühe Emanzipation der Lehrerin erklärt wird, aber auch ihre dazu so widersprüchliche Fügsamkeit in Familienangelegenheiten. Gerade weil die Titelgeberin kein Leben mit außerordentlichen Taten führte und die Autorin das zeitbedingte Eingebettetsein fein herausarbeitet, steht der Roman für viele Lebenswege von Frauen aus den 20er Jahren, die heute hochbetagt sind. Dass März die Tante durchgängig ihr Pfälzer Idiom sprechen lässt, erhöht die Authentizität der Schilderung eines Lebens aus kleinbürgerlichem Herkommen. Äußerst lesenswert!

Pauline Lindner

Pauline Lindner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Tante Martl

Tante Martl

Ursula März
Piper (2019)

189 S.
fest geb.

MedienNr.: 927617
ISBN 978-3-492-05981-7
9783492059817
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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