Dein Fortsein ist Finsternis

Anders als die Rahmenhandlung lange Zeit vermuten lässt, erzählt der bekannte isländische Autor lose miteinander verbundene Geschichten über Familien aus einem Fjord im Westen Islands. Alle diese Familien erleben Schicksalsschläge, das Bauernleben ist eine ständige Belastungsprobe. Und doch ist die Verwurzelung dort so tief, dass kaum jemand woanders heimisch wird. Der am weitesten zurückliegende Erzählstrang reicht 120 Jahre zurück zu einer ungewöhnlichen Frau. Obwohl sie auf einem sehr abgelegenen, primitiven Hochlandhof lebt, hat sie einen Artikel für eine naturkundliche Zeitschrift verfasst über ihre Beobachtungen zu Regenwürmern und wird künftig in der Redaktion mitarbeiten, einen langen Tagesritt entfernt. Ein neues Leben, ein Schritt heraus aus dem Dunkel der Bauernkate, der für ihre Nachfahren aber folgenreich ist, denn sie kann sich nun erlauben, ihre Gefühle auszuleben. Und bekommt ein Kind mit dem Entdecker und Förderer ihres Talents. Nach und nach werden Zusammenhänge zwischen den Personen und Zeitachsen sichtbar. Der Autor hat sich allerdings für einen Erzähler mit großen Gedächtnislücken entschieden, der bei seiner Rückkehr in den Fjord seine eigene Identität nicht kennt. Insgesamt verwirrt dieser irrlichternde Erzähler eher. Eindrucksvoll wird deutlich, wie Einsamkeit und Härte des Bauernlebens auf Island die Menschen geformt haben. Erst seit wenigen Jahrzehnten hat der Inselstaat einen Sprung in die Moderne gemacht. Die Bewohner scheinen immer noch ein besonderes Ohr füreinander zu haben. Vielleicht auch eine größere Toleranz? Alkohol allerdings spielt auch eine zerstörerische Rolle, Musik und Sex als Gegenmittel zu Einsamkeit, Kälte und Dunkelheit. Abgesehen von dem etwas bemühten Plot der Rahmenhandlung ein vielschichtiger Roman über das Miteinander-Leben und Zu-sich-Finden, dessen gestandene Figuren man ins Herz schließt. Eine Bereicherung für jeden Romanbestand.