Krass
Martin Mosebachs Titelheld "Krass" ist ein Machtmensch, der mit Waffen und Drogen handelt, ein feister Bürgerkönig, der herrscht, reist, großzügig genießt, aber nicht regiert. Dafür hält er sich Angestellte. Jüngel ist einer von ihnen: ein unterwürfiger Kunsthistoriker. Mit ihm betreten wir die Szene. Er hat sich beim Abendprogramm im Ort geirrt und führt Krass' Entourage versehentlich in eine Veranstaltung mit einem Illusionisten. Dort muss er dem geizigen Zauberer dessen Assistentin, die Belgierin Lidewine Schoonemaker, für seinen Herren ausspannen. Mit Jüngel muss nun auch sie die Machtwünsche von Krass in die Tagesdramaturgie übertragen, Privilegien ein- und jedwede Liebelei ausgeschlossen. Das kann nicht gutgehen, und es geht nur für Lidewine gut aus. Jüngel landet in der französischen Provinz, geschieden, wohnungslos, verarmt, Krass in Kairo, vereinsamt, gedankenklar, aber sterbenskrank. - Mosebachs erzählt von Pechvogelschicksalen, bei denen das Pech auch die schwarz macht, die einem Pechvogel helfen wollen. "Krass" ist ein Roman über die Nähe der Macht zum Wahn, eine Geschichte über die Tücken, die ein Lebenswerk durchkreuzen können. Es gibt Kapitel mit erlesenen Dialogen, andere mit spannenden Szenen; einmal überschätzt sich Krass beim Hinausschwimmen aus einer Meeresbucht und erfährt eine elementare Machtlosigkeit. Eine Geschichte, elegant, geistreich und mit staunendem Realismus erzählt, ein intellektuelles Vergnügen, eine Einladung zum nachdenkenden Lesen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Krass
Martin Mosebach
Rowohlt (2021)
524 Seiten
fest geb.