Der Taubentunnel
Jesus habe nur zwölf Jünger gehabt, aber einer davon sei ein Doppelagent gewesen. So ein Spruch wie dieser vom FBI-Chef sind das Salz in den Erinnerungen von John Le Carré. Der weltberühmte Autor von Agentenkrimis erzählt munter, manchmal komisch, und ohne übertriebene Geheimniskrämerei aus seinem Leben, das bestimmt ist von der Welt der Politik, Diplomatie und internationalen Investigation. Mehrfach erlebte er Enttarnungen von Doppelagenten (wie die von Kim Philby), er reiste zur Recherche in die Nahostländer, nach Russland, Amerika und Afrika. Er besuchte Arafat (der jovial war), speiste mit Margret Thatcher (die nicht amüsiert war), lernte Filmregisseure kennen und Alec Guinness (der als Schauspieler ein großer Leser seiner Bücher war). Man liest diese Memoiren anfangs mit nostalgischen Gefühlen, führen sie doch in die untergegangene Welt des Kalten Krieges, eines "Weltbürgerkrieges der Werte". Doch der Instinkt Le Carrés für die bleibende Spannung von Freiheit, Macht und Verrat befeuert die späteren Kapitel über die Jahre nach 1990. - Ein gelebter Agentenroman, ein politisches Tagebuch, ein faszinierendes Geständnis. Ab mittleren Beständen empfohlen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Der Taubentunnel
John LeCarré
Ullstein (2016)
381 S.
fest geb.