Flut und Boden
Die große Villa in der Weserstraße 84 im norddeutschen Vegesack ist für den Erzähler (*1972) Ausgangspunkt seiner Betrachtungen. Hier besuchte er seine Großeltern Trina und Friedrich und aß mit ihnen Butterkuchen, hier lauschte er den Liedern
seiner sangesfreudigen Verwandten, von hier aus besuchte er Fußballspiele, um lauthals in den Chor der Werder-Bremen-Fans einzustimmen, hier offenbarte sich ihm in zwei hinter einem Vorhang versteckten Bücherregalen die schockierende Nazi-Vergangenheit seines Großvaters, des Sturmbannführers Friedrich Leo (*1908). Zunächst wie betäubt, macht sich der Geschichtsstudent ab 1995 an eine intensive Spurensuche in der Vergangenheit seiner Familie, fordert Akten über seinen Großvater an, beleuchtet dessen Schulabbruch, die Forstlehre und das anschließende Emporklettern auf der Nazikarriereleiter, bis er in leitender Position die Rassegesetze anwendet, Auslese betreibt und somit über Leben und Tod zahlloser Menschen entscheidet. Eine wichtige Rolle spielt auch der intellektuelle Bruder seines Großvaters, Martin Leo, der als Kind furchtsam und sehr bildungsbeflissen war und aufgrund einer Krankheit von den Nazis zwangssterilisiert wurde. Vor dem Hintergrund dieses Bruders wird das Bild des Großvaters noch eindringlicher. - Per Leo analysiert mit seinem gelungenen Debüt voller literarischer Kunstgriffe nicht nur seine eigene Vergangenheit, sondern befragt mit diesem Familienroman stellvertretend eine ganze Generation nach deren Geisteshaltung. Sehr empfehlenswert.
Birgit Fromme
rezensiert für den Borromäusverein.

Flut und Boden
Per Leo
Klett-Cotta (2014)
348 S.
fest geb.