Der Sturm
Andreas und seine etwas ältere Schwester Minna leben als Adoptivkinder von Johannes in dessen Haus, auch das Totenhaus genannt. Dieser Johannes ist etwas wunderlich; die Kinder sind zumeist sich selbst überlassen. Minna hat eine überbordende Fantasie, die sich in immer neuen Vorstellungen über ihre Eltern ausdrückt. Angeblich sind ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Aber auf der Insel kursieren alle möglichen Gerüchte, Minna spinnt sich skurrile Geschichten zusammen, und Andreas ist hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Argwohn. Andreas meint auch immer, er müsste seine Schwester beschützen und folgt ihr ständig auf ihren abenteuerlichen Umtrieben mit Jungs aus der Umgebung. Johannes, der die Kinder nie offiziell adoptiert hat, ist selbst im Umfeld immer weniger gelitten. Er ist für die reiche Familie Kaufmann tätig, die Anhänger der faschistischen Quisling-Bewegung waren. Nach dem Krieg gibt es daher viele Ressentiments, unter denen auch Andreas und Minna leiden. - Der Ich-Erzähler Andreas schildert die Ereignisse aus der Sicht des Kindes und des Erwachsenen. Das geschieht öfters übergangslos, was aufmerksames Lesen erfordert. Aber trotz der häufigen Perspektivwechsel - es ist beeindruckend, wie der Autor die Ereignisse schildert. Es ist auch nicht immer leicht zu erkennen, was Fiktion ist und was den geschichtlichen Fakten entspricht. Das alles ist trotz der bildreichen, eindrucksvollen, wortgewaltigen, gehaltvollen Sprache keine leichte Kost; es sind immer wieder bedrückende Vorstellungen, die sich auftun, auch wenn sie nicht detailliert beschrieben werden. Eine anspruchsvolle Geschichte, ein Buch für versierte Leser. (Übers.: Gisela Kosubek)
Erwin Wieser
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der Sturm
Steve Sem-Sandberg
Klett-Cotta (2019)
266 S.
fest geb.