Der kleine Rest des Todes
Ariane, eine labile junge Frau, verliert durch den Tod ihres Vaters jeglichen Halt. Sie kapselt sich bis zur völligen Verwahrlosung in ihre Trauer ein - eine radikal ichbezogene Trauer. "Es gibt zwei Arten des Leidens. Leiden. Und Leiden am Leiden. Das erste Leiden ist unvermeidbar, aber geht vorüber, das zweite hört nie auf." Ariane entscheidet sich für das Leiden am Leiden. Sie beobachtet und analysiert sich dabei. - Dieses kleine, intensive Trauerbuch ist anders als die meisten Geschichten über Trauerbewältigung: Die Ich-Erzählerin gibt sich nicht dem Klischee hin, dass Trauer durch die Kunst des Erzählens überwunden werden kann; sie hält vielmehr die Momente der Trauer fest, mal in präzisen Beobachtungen, nüchternen Beschreibungen, mal in extrem intensiv empfundenen poetischen Schilderungen. "Ja, wenn alles sich umstülpt im Leben, und ich finde der Tod tut das - nur dass man ihn einfügt ins Leben wie einen Satzteil, als gehörte er zur ganzen Geschichte. Aber das tut er nicht. Ich kann sagen, in so kurzer Zeit bereits genau das begriffen zu haben". Die Schilderung dieser egozentrischen Trauer, die nichts anderes zulässt, ist eine Zumutung für den Leser: für Betroffene vielleicht befreiend, nur schwer erträglich dagegen für Leser, die keine Affinität zum Thema haben. Gleichwohl literarisch ein kleines Juwel.
Ileana Beckmann
rezensiert für den Borromäusverein.
Der kleine Rest des Todes
Ulla Lenze
Frankfurter Verl.-Anst. (2012)
155 S.
fest geb.