Das mangelnde Licht

Tiflis in den späten 1980er Jahren - im Stadtteil Sololaki, in einem heruntergekommenen Wohnblock leben in eher prekären Verhältnissen die Familien der vier Mädchen Keto, Ira, Nene und Dina. Bereits in der Schule empfinden sie eine tiefe Freundschaft Das mangelnde Licht zueinander, obwohl sie recht verschieden sind. Ira ist die unscheinbarste, intelligenteste. Dina ist immer aufmüpfig, rebellisch, freiheitsliebend. Die romantische Nene ist eher sanft und als Verwandte eines mafiösen Clans von ihren Freundinnen bemitleidet. Keto, die Icherzählerin, schafft es immer wieder, nach Streitereien zu versöhnen. Nur gelegentlich gibt es Ausbrüche aus der sozialistischen Konformität, sonst ist das Leben gleichmäßig. Ira glänzt in der Schule, Dinas Hobby ist das Fotografieren; Nene verliebt sich unsterblich in einen Jungen, der von ihrem patriarchalischen Onkel nicht gebilligt wird. Keto ist begabte Zeichnerin. Nach Perestroika und Glasnost wird Georgien unabhängig. Doch der junge Staat stürzt ins Chaos, bald herrschen Gewalt und Willkür. In Tiflis herrscht nicht zuletzt durch zunehmenden Rauschgifthandel Gewalt auf den Straßen; auch Ketos Bruder spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die Freundschaft der vier jungen Frauen ist kaum zu heilenden Zerwürfnissen ausgesetzt; sie verlieren sich immer wieder aus den Augen. 2019 gibt es in Brüssel eine Ausstellung der fotografischen Werke von Dina, die sich schon vor Jahren das Leben genommen hat. Keto, Nene und Ira treffen sich dort und versuchen einen Neubeginn. - Die Bilderausstellung als Aufhänger für die Schilderung der Lebensabschnitte ist bestens gelungen. Alle Charaktere sind außergewöhnlich gut beschrieben, so wie die Geschichte das große Erzähltalent der Autorin aufzeigt. Trotz der mehr als 800 Seiten kommt nie auch nur ansatzweise Langeweile auf, ist der Roman mit den vielen lebhaften Figuren spannend, tiefgreifend, berührend. Eine Gesellschaftsstudie mit bitterer Aktualität. Uneingeschränkt empfohlen.

Erwin Wieser

Erwin Wieser

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Das mangelnde Licht

Das mangelnde Licht

Nino Haratischwili
Frankfurter Verlagsanstalt (2022)

830 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 608601
ISBN 978-3-627-00293-0
9783627002930
ca. 34,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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