Der Fluch der Muskatnuss
Der Titel "Fluch der Muskatnuss" verspricht ein faszinierendes Leseerlebnis. Doch es kommt anders. Amitav Ghosh, bekannt durch seinen Roman "Der Glaspalast" (2001; Bespr. online), schreibt auf 334 Seiten über Kolonialismus, Genozid und planetarische Krise. Im Jahr 1621, mitten im 30-jährigen Krieg, erobern die Niederländer die Banda-Inseln, eine Inselgruppe in Indonesien und Heimat der Muskatnuss. Sie brandschatzen und rotten die indigene Bevölkerung aus. Von hier springt der Autor in die Jetztzeit, 2020 und Corona. Ghosh, 1956 in Kalkutta geboren, lebt in New York. Die bedrückende Atmosphäre während der Pandemie lässt ihn eine Art Verwandtschaft mit den verängstigten Bewohnern der Banda-Inseln fühlen. Von hier schlägt er den Bogen zur europäischen Kolonialisierung Nord- und Südamerikas und der Auslöschung der "Native Americans". Kolonisation, Kapitalismus und Umweltveränderung führen für ihn direkt zum jetzigen Klimawandel. Der Leser benötigt eine gewisse Flexibilität, um dem Autor zu folgen. Ghosh ist Schriftsteller und nicht Wissenschaftler. Seine bemühten Betrachtungen der Globalgeschichte aus nichteuropäischer Sicht sind deshalb vielleicht interessant. Ghosh wertet, urteilt, hat eine Zukunftsvision. Vitalität, spirituelle und religiöse Vorstellungen indigener Völker, diese "stille Kraft" könne unseren Planeten retten. Literatur und Kunst sind die Vermittler. Der Mensch der Zukunft muss sich auf das Ungewisse, kaum Vorstellbare und Magische einlassen. Die Ereignisse rund um die Muskatnuss und eine umgefallene Lampe im Jahr 1621 bleiben ein Gleichnis und sehr mysteriös. Gleichnisse wollen den Leser zum Mit- und Umdenken bewegen. Für größere Bestände in jedem Fall sehr interessant.
Renate Feldmeyer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der Fluch der Muskatnuss
Amitav Ghosh ; aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier
Matthes & Seitz Berlin (2023)
334 Seiten : Illustrationen, Karten
fest geb.