Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen

Stärker psychologisierend, strenger in der Form und klaustrophobischer als in ihrem ersten auf Deutsch erschienen Thriller („Die Aosawa-Morde“, BP/mp 22/389) legt die japanische Meisterin des Suspense den Leser/-innen eine so kleine wie faszinierende Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen Geschichte um die Liebe und das Misstrauen eines Geschwisterpaares vor. Beide verdächtigen sich gegenseitig, den Wanderführer ihrer Bergtour umgebracht zu haben. Der Tote gilt als der lang verschollene Vater der beiden und Rückblenden zum Tag seines Todes in den Bergen bilden den einzigen Szenenwechsel in diesem als Kammerspiel angelegten Roman. Die niemals existierende Familie, aus der das Mädchen Aki von der alleinstehenden Mutter früh in eine Adoptivfamilie gegeben wurde, während ihr Zwillingsbruder Hiro daheim blieb, die inzestuös besetzte Liebe zwischen beiden und das Ringen um Gewissheit über die eigene Herkunft, um die Gefühle der anderen und der eigenen Person – dies alles lässt Riku Onda in der geräumten Wohnung der beiden am letzten dort gemeinsam verbrachten Abend spielen. Nach dem Tod des Wanderführers haben sie die Trennung beschlossen. Es gibt demgemäß auch keine gemeinsame Geschichte mehr. Erzählt wird in kurzen Kapiteln aus der stets wechselnden Perspektive von Hiro und Aki. Dieser formale Aufbau, die Faltungen und Wendungen, die zum Ende jeden Kapitels die Leser/-innen in stets neue Töne, Motive und Perspektiven stürzen, ist wohl das Berührendste an dem Buch. Jedes Mal ändert sich die Beziehung der Erzählerfiguren, sie lieben und fürchten einander, ringen um Erinnerung, Identität und Anziehung/Herkunft. Beide sind sie jene flackernden Fische, die ständig die Richtung wechseln. Auch wenn der für deutsche Leser/-innen poetisch gestelzt wirkende Titel, in deutscher Übersetzung treu dem japanischen Original folgend, keinen Kassenerfolg verspricht – in der kongenialen Übersetzung von Nora Bartels teilt sich die ganze Kraft dieses schwer fassbaren, vielschichtigen und auch philosophischen Buches mit. Keine Lektüre für Action-Freunde, kein Buch zum Einschlafen – für die Seele, die von Betrachtungen über Identität, Erinnerung, Liebe und Hass, sich angezogen sieht, und für jeden, der die irisierende Form japanischer Literatur liebt, jedoch ein Muss. Daher eine nachdrückliche Empfehlung für alle Leser/-innen, die qualitätvolle Spannung schätzen und einen Blick über den Tellerrand der Krimi- und Liebes-Konfektionsware riskieren mögen.

Helmut Krebs

Helmut Krebs

rezensiert für den Borromäusverein.

Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen

Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen

Riku Onda ; aus dem Japanischen von Nora Bartels
Atrium Verlag (2023)

239 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 614449
ISBN 978-3-85535-024-7
9783855350247
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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