Das menschliche Gleichgewicht
Es hätte ein erholsamer Urlaub mit Kindern und Freunden auf einer kroatischen Insel werden sollen, wäre da nicht am Tag der Abreise Sarah, die Tochter eines befreundeten Ehepaares, vor der Tür gestanden. Sie und ihr Hund reisen mit. In der Einsamkeit
zwischen kargen Felsen und Meer gibt sie langsam Teile ihres Schicksals preis. Ihre Eltern, das wusste die Ich-Erzählerin schon, waren durch ihren Halbbruder ermordet worden. So sehr sich auch ihre älteren Brüder um sie bemühten, Sarah musste nach den schrecklichen Ereignissen immer wieder in die Psychiatrie. Irgendwann während der eher geruhsamen Tage übergibt sie ihr dort verfasstes Tagebuch der Ich-Erzählerin. Diese liest Abschnitte daraus, für den Leser des Buches verwandeln sich dadurch manche eher harmlosen Beschäftigungen in seelische Gratwanderungen, ja fast in ungehörte Hilfeschreie. Das soziale Gefüge der kleinen Reisegruppe kommt ins Wanken. Eigenarten und persönliche Schwierigkeiten treten auffällig in den Vordergrund und verlangen allerhand Geschick, das Gruppengeschehen im Gleichgewicht zu halten. Aber auch die Unternehmungen auf der Insel werden plötzlich gefährlich. - Es wäre ein netter, nicht zu spannungsreicher Ferienbericht, könnte sich der Leser dem Schicksal Sarahs entziehen, das ist ihm aber ebenso wenig möglich wie der Ich-Erzählerin. Man spürt eine seltsam aufgeladene Atmosphäre in allen Schilderungen, die deutlich über das hinausgeht, was gemeinhin an gruppendynamischen Prozessen in solchen Urlaubsgemeinschaften ablaufen. Lesenswert.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Das menschliche Gleichgewicht
Margit Schreiner
Schöffling (2015)
232 S.
fest geb.