Die Summe des Ganzen

Ein später Mittwochnachmittag im März, in einer Kirche in Madrid. Padre Roque will seinen Beichtstuhl gerade verlassen, da hetzt ein Mann herein, schwere Sünden auf dem Herzen. Der 1964 in Köln geborene Steven Uhly lässt der Geschichte Zeit in Die Summe des Ganzen seinem mittlerweile achten Roman, und das macht schon der Titel deutlich: Es geht um „Die Summe des Ganzen“, die Zusammengehörigkeit von Geschichten, nicht um einen einzelnen skandalösen Fall. In mehreren Beichtgesprächen erfährt der Padre die Sünde. Es ist Luxuria, die Wollust. Der beichtende Lucas, Nachhilfelehrer für Mathematik, hat sich in seinen zehnjährigen Schüler verliebt. Doch mit dem Kindesmissbrauch als Beichtgeheimnis ist es nicht getan. Es geht auch um die damit verbundenen Fragen von Rache und echter Reue, von Vergebung und Erlösung vom Leiden, von Sünde und Sühne, es geht um den Abgrund von Zugeständnissen und Schuldgefühlen, Erpressungen und Gedächtnislücken. Der Padre selbst wird zusehends in die Geschichte verwickelt, denn auch er hat eine pädophile Backstory-Wunde. Wie Uhly die Missbrauchsgeschichten verkreuzt und einander kommentieren lässt, ist zunächst irritierend und dann erhellend, denn (Achtung: kleiner Spoiler) Lucas funktioniert als Lockvogel in einem dann auch kriminalistisch angelegten Plot, der die Vertuschungs- und Verschweigungslinien der Kirche in Missbrauchsfällen nachzeichnet. Eine wuchtige Geschichte mit nachhaltigem Ende, zum Nachdenken anhaltend.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Die Summe des Ganzen

Die Summe des Ganzen

Steven Uhly
Secession Verlag (2022)

156 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 751098
ISBN 978-3-96639-048-4
9783966390484
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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