Die Sprache wiederfinden
Antje Ravik Strubel ist für ihren Roman „Blaue Frau“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden. Sie erzählt von einer jungen Frau, die sich nach einer Vergewaltigung zurück ins Leben kämpft und ihre Sprachlosigkeit überwindet, um Tat und Täter überhaupt benennen zu können.
Aus der Begründung der Jury: „Mit existenzieller Wucht und poetischer Präzision schildert Antje Rávik Strubel die Flucht einer jungen Frau vor ihren Erinnerungen an eine Vergewaltigung. Schicht um Schicht legt der aufwühlende Roman das Geschehene frei.“ Auf vorsichtige, tastende Weise gelinge es Strubel, das eigentlich Unaussprechliche einer traumatischen Erfahrung zur Sprache zu bringen. „Im Dialog mit der mythischen Figur der Blauen Frau verdichtet die Erzählerin ihre eingreifende Poetik: Literatur als fragile Gegenmacht, die sich Unrecht und Gewalt aller Verzweiflung zum Trotz entgegenstellt.“
Strubel reagierte auf die Auszeichnung mit einer bemerkenswerten Dankesrede, die links als youtube-Video eingebettet ist. Darin beschränkte sie sich nicht auf Dankesworte, sondern beklagte den „Krieg um Benennung und Bezeichnung“ und den Hass, mit dem die Debatte geführt werde. Sie betonte, dass Sprache „beweglicher und wandelbarer“ sei als wir in unseren Gewohnheiten und beendet die Rede mit: „Rávik und ich sind Schriftstellerinnen, keine Schriftsteller und als solche manchmal ausgezeichnet mit einem Sternchen.“
Antje Rávik Strubel lebt in Potsdam. Nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin studierte sie in Potsdam und New York Literaturwissenschaften, Amerikanistik und Psychologie. Mit Erscheinen Ihres ersten Buches „Offene Blende“ wurde eine Namensfindung nötig, wie Strubel auf ihrer Internetseite schreibt: „von nun an ergänzt der Name Rávik (zunächst Rávic) den Geburtsnamen. Rávik ist eine Erfindung, die einen Raum bezeichnet, eine Daseinsform markiert, einer Erweiterung der Identität im Prozess des Schreibens.“
Antje Rávik Strubel erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalist*innen erhalten jeweils 2.500 Euro.
Der Roman des Jahres
Blaue Frau
Die junge Tschechin Adina hat nach der Schule nur ein Ziel: Ihre Heimat verlassen und die Welt jenseits ihrer Realitäten erfahren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin verschlägt es sie in die Abgeschiedenheit der Uckermark. Dort wird sie zur Mitarbeiterin eines unerbittlichen Mannes, der ein in die Jahre gekommenes Anwesen als ländlichen Kultur-Hotspot etablieren will. Ausschweifende Feste und Gelage finden statt. Eines Tages muss Adina einen namhaften Vertreter der Berliner Kulturszene von der Idee ihres Chefs überzeugen und wird Opfer eines brutalen sexuellen Übergriffs. Sie verlässt das Anwesen und strandet in Finnland. Ein estnischer Wissenschaftler verliebt sich in sie und bittet sie, in seine Wohnung zu ziehen. Adina versucht das Erfahrene zu verarbeiten, bis es sie eines Abends unverhohlen einholt. - Die Geschehnisse erzählt Strubel nicht chronologisch, dennoch umgibt den/die Leser/-in ab der ersten Seite ein mulmiges Gefühl. Das Erscheinen der "blauen Frau" am Meer und die schleichende Transformation Adinas in "den Letzten Mohikaner" zeugen von der Vielschichtigkeit der Vorgänge in Adinas Kopf und Geist. Sie ist und erlebt alles gleichzeitig. Strobels klare Sprache navigiert zielsicher durch die mitunter beklemmende Erzählung und enthüllt und verhüllt zugleich eine starke Protagonistin. Klare Empfehlung! (ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2021)
Christine Tapé-Knabe
rezensiert für den Borromäusverein.
Blaue Frau
Antje Rávik Strubel
S. Fischer (2021)
428 Seiten
fest geb.