Deutscher Buchpreis 2021

Antje Rávik Strubel
Antje Rávik Strubel erhält den Deutschen Buchpreis 2021 | © vntr.media

Die Dankesrede

Die Sprache wiederfinden

Antje Ravik Strubel ist für ihren Roman „Blaue Frau“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden. Sie erzählt von einer jungen Frau, die sich nach einer Vergewaltigung zurück ins Leben kämpft und ihre Sprachlosigkeit überwindet, um Tat und Täter überhaupt benennen zu können.

Aus der Begründung der Jury: „Mit existenzieller Wucht und poetischer Präzision schildert Antje Rávik Strubel die Flucht einer jungen Frau vor ihren Erinnerungen an eine Vergewaltigung. Schicht um Schicht legt der aufwühlende Roman das Geschehene frei.“ Auf vorsichtige, tastende Weise gelinge es Strubel, das eigentlich Unaussprechliche einer traumatischen Erfahrung zur Sprache zu bringen. „Im Dialog mit der mythischen Figur der Blauen Frau verdichtet die Erzählerin ihre eingreifende Poetik: Literatur als fragile Gegenmacht, die sich Unrecht und Gewalt aller Verzweiflung zum Trotz entgegenstellt.“

Strubel reagierte auf die Auszeichnung mit einer bemerkenswerten Dankesrede, die links als youtube-Video eingebettet ist. Darin beschränkte sie sich nicht auf Dankesworte, sondern beklagte den „Krieg um Benennung und Bezeichnung“ und den Hass, mit dem die Debatte geführt werde. Sie betonte, dass Sprache „beweglicher und wandelbarer“ sei als wir in unseren Gewohnheiten und beendet die Rede mit: „Rávik und ich sind Schriftstellerinnen, keine Schriftsteller und als solche manchmal ausgezeichnet mit einem Sternchen.“

Antje Rávik Strubel lebt in Potsdam. Nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin studierte sie in Potsdam und New York Literaturwissenschaften, Amerikanistik und Psychologie. Mit Erscheinen Ihres ersten Buches „Offene Blende“ wurde eine Namensfindung nötig, wie Strubel auf ihrer Internetseite schreibt: „von nun an ergänzt der Name Rávik (zunächst Rávic) den Geburtsnamen. Rávik ist eine Erfindung, die einen Raum bezeichnet, eine Daseinsform markiert, einer Erweiterung der Identität im Prozess des Schreibens.“

Antje Rávik Strubel erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalist*innen erhalten jeweils 2.500 Euro.

Der Roman des Jahres

Blaue Frau

Die junge Tschechin Adina hat nach der Schule nur ein Ziel: Ihre Heimat verlassen und die Welt jenseits ihrer Realitäten erfahren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin verschlägt es sie in die Abgeschiedenheit der Uckermark. Dort wird sie zur Mitarbeiterin Blaue Frau eines unerbittlichen Mannes, der ein in die Jahre gekommenes Anwesen als ländlichen Kultur-Hotspot etablieren will. Ausschweifende Feste und Gelage finden statt. Eines Tages muss Adina einen namhaften Vertreter der Berliner Kulturszene von der Idee ihres Chefs überzeugen und wird Opfer eines brutalen sexuellen Übergriffs. Sie verlässt das Anwesen und strandet in Finnland. Ein estnischer Wissenschaftler verliebt sich in sie und bittet sie, in seine Wohnung zu ziehen. Adina versucht das Erfahrene zu verarbeiten, bis es sie eines Abends unverhohlen einholt. - Die Geschehnisse erzählt Strubel nicht chronologisch, dennoch umgibt den/die Leser/-in ab der ersten Seite ein mulmiges Gefühl. Das Erscheinen der "blauen Frau" am Meer und die schleichende Transformation Adinas in "den Letzten Mohikaner" zeugen von der Vielschichtigkeit der Vorgänge in Adinas Kopf und Geist. Sie ist und erlebt alles gleichzeitig. Strobels klare Sprache navigiert zielsicher durch die mitunter beklemmende Erzählung und enthüllt und verhüllt zugleich eine starke Protagonistin. Klare Empfehlung! (ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2021)

Christine Tapé-Knabe

Christine Tapé-Knabe

rezensiert für den Borromäusverein.

Blaue Frau

Blaue Frau

Antje Rávik Strubel
S. Fischer (2021)

428 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 606396
ISBN 978-3-10-397101-9
9783103971019
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
Diesen Titel bei der ekz kaufen.

Die Shortlist

Der zweite Jakob

Rezension

Der zweite Jakob

Was das Schlimmste sei, dass er je erlebt habe, fragt Luzie ihren Vater kurz vor seinem 60. Geburtstag. Jakob Thurner, ein österreichischer Schauspieler, erzählt seiner Tochter das Geheimnis, (...)

Vati

Rezension

Vati

Der autobiografische Roman spiegelt die Erinnerungen der Autorin über ihren Vater und ihre eigene Kindheit in Vorarlberg wider. Es ist die Geschichte eines Kriegsversehrten, der nach dem (...)

Eurotrash

Rezension

Eurotrash

Mit seinem ersten Roman "Faserland" (1995) hat Christian Kracht gleich eine Marke gesetzt. Über seinen Erfolg denkt der Autor nun in seinem neuen Roman "Eurotrash" nach, der genauso beginnt (...)

Zandschower Klinken

Rezension

Zandschower Klinken

Die Beziehung zu seiner Partnerin ist zu Ende, seine Hündin ist gestorben. Grund genug für Bengt Claasen, auszusteigen und ein neues Leben zu beginnen: Er legt das Hundehalsband auf das (...)

Identitti

Rezension

Identitti

Saraswati ist die gefeierte Professorin für postkoloniale Studien an der Düsseldorfer Universität. Sie ist die Instanz für alle Debatten über Identität und bezeichnet sich selbst als Person (...)

Nach oben

Die Longlist

Mitgift

Rezension

Mitgift

Von 1755 bis 1962 erzählt Ahrens die - fiktive - Geschichte der Familie Leeb auf ihrem Bauernhof in der Nähe von Peine in Niedersachsen. Tatsächlich hat er sich aber an Dokumenten aus der (...)

Drei Kameradinnen

Rezension

Drei Kameradinnen

Die Verhaftung ihrer besten Freundin Saya vor Augen verfasst Kasih in einer langen Nacht eine leidenschaftliche Dokumentation ihrer Lebensrealität in Deutschland - von der Einstellung der (...)

Gentzen oder: Betrunken aufräumen

Rezension

Gentzen oder: Betrunken aufräumen

Dietmar Dath setzt dem Mathematiker Gerhard Gentzen ein Denkmal. Er selbst hat Literatur und Physik studiert, mit jedem Satz seines neuen, umfangreichen Romans wird das deutlich. Es wimmelt (...)

Die Eroberung Amerikas

Rezension

Die Eroberung Amerikas

Spanien im Jahre 1537: Ferdinand Desoto hat sich als erfolgreicher Konquistador in Mittelamerika, vor allem bei der Eroberung Perus mit Pizarro einen Namen gemacht und ist damit reich (...)

Der versperrte Weg

Rezension

Der versperrte Weg

Erich Goldschmidt wird 1924 als Sohn eines Oberlandesgerichtsrats in Reinbek bei Hamburg geboren. Die vormals jüdische Familie war im 19. Jh. zum Protestantismus konvertiert. Erich, ein Kind (...)

Die nicht sterben

Rezension

Die nicht sterben

Eine junge Frau kehrt nach ihrem Kunst-Studium nach Rumänien zurück, in den Kurort B. am Fuße der Karpaten. Dort hatte sie immer die Sommerferien in der altherrschaftlichen Villa ihrer (...)

Vater und ich

Rezension

Vater und ich

Einst der ganze Stolz und Augenstern ihres Vaters, mit Zärtlichkeit und Interesse bedacht: Ipek. Sie ist die einzige Tochter eines in den 70er Jahren nach Deutschland eingewanderten Türken. (...)

Die Nibelungen

Rezension

Die Nibelungen

Helden sind immer nur die, die von ihren Verehrern dazu gemacht werden. Auf dieser postheroischen Einsicht fußt der neue Roman von Felicitas Hoppe. Er handelt von den Nibelungen, dem wohl (...)

Zu den Elefanten

Rezension

Zu den Elefanten

Kulturwissenschaftler Theo verbringt die Sommerferien mit Frau Anna und dem neunjährigen Sohn Moritz im Salzburger Land, der Landschaft seiner Frau und deren Familie. Theo findet den (...)

Besichtigung eines Unglücks

Rezension

Besichtigung eines Unglücks

Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ereignet sich in Genthin in Sachsen-Anhalt ein tragischer Zugunfall, bei dem fast zweihundert Menschen ihr Leben verlieren. Jahrzehnte später weckt das (...)

Der Himmel vor Hundert Jahren

Rezension

Der Himmel vor Hundert Jahren

Ein russisches Dorf in einer abgelegenen Gegend um 1918. Hier bekommen die Bewohner von den politischen Veränderungen des Großreiches so schnell nichts mit. Ilja, der Dorfälteste, brütet die (...)

Im Menschen muss alles herrlich sein

Rezension

Im Menschen muss alles herrlich sein

Lena wächst in den siebziger Jahren in der Sowjetunion auf und verbringt ihre Ferien bei der Großmutter in Sotchi, wo sie mit ihr Haselnüsse sucht und diese auf dem Markt verkauft. Sie lernt (...)

Mein Lieblingstier heißt Winter

Rezension

Mein Lieblingstier heißt Winter

Sabine Teufel ("Schimmelteufel") betreibt eine Reinigungsfirma (auch zur Tatortreinigung), Dr. Bitter hält ihren Gatten in selbst gewähltem Tiefschlaf, Florist Urbanek sorgt auf Bestellung (...)

Es ist immer so schön mit dir

Rezension

Es ist immer so schön mit dir

Sein Leben mit der fast vierzigjährigen Julia geht seinen gewohnten Gang. Für sie scheint es gut so, ihm scheint jedoch die Lebensenergie verlorenzugehen durch die sich wiederholenden, (...)

Nach oben