Harte Schale, Weichtierkern
Fabienne hadert mit ihrer Familie und ihren Freunden, mit ihrem Leben und mit sich selbst. Die 16-Jährige ist hochintelligent und übersensibel, was ihr den Zugang zur Welt zunehmend erschwert. Ihr Psychotherapeut diagnostiziert das "Asperger-Syndrom"
und empfiehlt ihr eine Therapie-Gruppe. Nach anfänglicher Skepsis kann sie sich dort öffnen. Fabiennes Probleme reichen weiter als ein post-pubertärer Weltschmerz und auch ihr Interesse an Oktopussen (das schon fast zu einer Identifizierung mit diesen Tieren führt) ist mehr als nur ein jugendlicher Spleen. Was ihr Problem - so ungewohnt es vielen Lesenden erscheinen mag - so plausibel erscheinen lässt, ist die Wahl des Mediums Tagebuch. Hier lesen wir ihre Schilderungen kleiner Alltagsbegegnungen, die sie zur nächsten Krise führen können, hier erdichtet sie sich Welten, die für andere unerreichbar sind. Ihre ausufernden Monologe und kurze Notizen, das Spiel mit verschiedenen Schrifttypen und vor allem die eingestreuten Aquarelle und Zeichnungen charakterisieren sehr treffend ihren jeweiligen Gemütszustand. Das kann für die Lesenden teils anstrengend, teils erheiternd sein, in jedem Fall lernt man bei der Lektüre eine vielschichtige und interessante Person kennen, deren Schicksal berührt. Ihre Albernheiten und auch Altersweisheiten sind Facetten eines Menschen, der auf der Suche ist nach dem Sinn des Lebens und dem eigenen Ich. Die Glaubwürdigkeit des Textes und die außergewöhnliche Gestaltung machen das Buch so lesenswert und führen es weit über das Genre Jugendliteratur hinaus.
Dominique Moldehn
rezensiert für den Borromäusverein.

Harte Schale, Weichtierkern
Cornelia Travnicek ; mit Illustrationen von Michael Szyszka
Beltz & Gelberg (2022)
123 Seiten : Illustrationen (farbig)
fest geb.