Aus der Zeit fallen
Der Verlust eines Kindes trifft die Eltern sehr hart. Der vielfach ausgezeichnete israelische Schriftsteller hat seinen Sohn Uri 2006 im Krieg verloren. Seine Erfahrungen spiegeln sich im Zwiegespräch eines älteren Ehepaares, das eine Art Standortbestimmung
im Dialog mit dem toten Sohn sucht. Eine Hebamme und ihr verschlossener Mann, ein Schuster, trauern um die verstorbene kleine Tochter. Auch ein Rechenlehrer, eine Netzflickerin und der Zentaur (ein etwas ruppiger Schriftsteller) fallen gleichsam aus den Ordnungsgrößen von Ort und Zeit. Als Verbindungsstelle zwischen den isolierten Figuren tritt ein Chronist auf, der einem Herzog dient. Es gibt keinen sichtbaren Handlungsverlauf, vielmehr kreisen die Trauernden um sich, den verlorenen Menschen, ihre veränderte Partnerbeziehung und sie fantasieren von Begegnungsmöglichkeiten. Beim Lesen denkt man zunächst an eine altgriechische Tragödie, so intensiv ist die Klage, aber auch an Klagelieder, denn der Ton ist immer wieder lyrisch. Besonders aufschlussreich ist das Nachwort der Übersetzerin, die die Schwierigkeit der Übertragung dieses gattungsmäßig nicht zu fassenden Textes in eine andere Sprache erläutert und damit aber auch das Verständnis erschließen hilft. Das dezent gestaltete schmale Buch lässt sich kaum in einem Zug lesen, sondern lädt zu mehrmaligem Eintauchen in diese menschliche Grenzerfahrung ein. (Übers.: Anne Birkenhauer)
Bernhard Grabmeyer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Aus der Zeit fallen
David Grossman
Hanser (2013)
125 S.
fest geb.