Lichtspiel

Erneut ein Rückgriff von Kehlmann auf eine historische Person als Thema seines Romans: G. W. Pabst, ein Regisseur, der Greta Garbo entdeckt hat, Europa von Frankreich aus gen USA verlässt, als die Nationalsozialisten Österreich übernehmen, dort Lichtspiel nicht Fuß fassen kann, sodass er zurückkehrt gegen den Strom, um sich um seine Mutter zu kümmern, als ihn deren Hilferuf (von wem auch immer inszeniert) erreicht. Am Tag nach seiner Einreise in Österreich beginnt der Krieg. Pabst dreht jetzt Filme in und für Deutschland mit auch in der Nachkriegszeit sehr bekannten Schauspielern. Der letzte Film (aus dem schlechten Buch eines Naziautors macht er eine neue Geschichte) wird in Prag gedreht, Pabst hält ihn für seinen besten und schneidet ihn im aufständischen Prag vor der Flucht nach Wien. Die Originalfilmrollen gehen im Zug verloren, Pabst erholt sich von dem Verlust nicht, obwohl er nach dem Krieg weiter filmen kann. Kehlmann bildet einen Rahmen um diese Geschichte des Verlusts, der ehemalige Regieassistent, der mit Pabst geflohen ist, hat die verlorenen Filmrollen zurückbekommen, er hat sie so lange zurückgehalten, bis eine Rückgabe zu spät war, sie aber aufbewahrt bis ins Altenheim, wo er nun dement lebt. „Draußen“ – „Drinnen“: Diese beiden Titel der Kapitel erfassen die Aufenthaltsorte von Pabst während der Zeit des Nationalsozialismus, damit auch seine Auftraggeber. „Danach“, der Titel des dritten kurzen Kapitels, meint nicht allein die Zeit nach 1945, sondern die Zeit nach dem Verlust der Filmrollen, Pabsts Interesse an Film, Familie und Leben ist erloschen. Auffallend und manchmal verstörend ist der Erzählerwechsel in einzelnen Kapiteln, dazu deren Gedanken, z.T. auch Träume und Halluzinationen. Zu an böse Geister erinnernde Gestalten werden die Mitglieder der Hausmeisterfamilie, deren Treiben bösartig ist. Da sie aber nie von Pabst gescholten oder korrigiert werden, stellt sich auch hier die Frage nach dem tatsächlichen Geschehen. Der Roman ist, wie alle von Kehlmann, gut geschrieben, aber an „Die Vermessung der Welt“ reicht er nicht heran.

Barbara Schürmann-Preußler

Barbara Schürmann-Preußler

rezensiert für den Borromäusverein.

Lichtspiel

Lichtspiel

Daniel Kehlmann
Rowohlt (2023)

470 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 617571
ISBN 978-3-498-00387-6
9783498003876
ca. 26,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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