Irgendwo in diesem Dunkel
Mit "Sie kam aus Mariupol" (BP/mp 17/349) hat Natascha Wodin einen Markstein gesetzt. "Irgendwo in diesem Dunkel" ist eine Weiterführung, in manchen Teilen auch eine Ergänzung, gelegentlich auch Wiederholung aus anderer Perspektive. Sie legt den
Schwerpunkt auf die Erlebnisse der Kindheit und Jugend in einer früheren Siedlung für "Displaced Persons", jetzt einem übel beleumdeten "Russen Ghetto" der 50er Jahre, nahe einer mittelfränkischen Kleinstadt. Dann, nach dem Selbstmord der Mutter, folgen Jahre in einem Heim in Bamberg, das von wenig mitfühlenden Ordensschwestern geführt wird. Diesen schrecklichen Umständen können sie und ihre Schwester nur dadurch entkommen, dass der Vater aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf als Sänger in einem Kosakenchor aufgeben muss und nicht mehr auf Tournee gehen kann. Dem rigiden und gewalttätigen Vater entflieht das inzwischen junge Mädchen, verwahrlost dabei zusehends und lebt mehr oder weniger auf der Straße. Anschluss an gleichaltrige deutsche Jugendliche findet das Mädchen nicht. Sie wird diskriminiert, gemobbt, und missbraucht. Eingestreut in diese beklemmenden Rückblenden sind Gegenwartsbezüge. Ihre Stellung als Dolmetscherin für Russisch und die sich daraus ergebenden weiteren Nachforschungen über ihre ihr weitestgehend unbekannte Familiengeschichte. Die Besuche beim früher so verhassten Vater im Altersheim, ihre Fürsorge für den nun pflegebedürftigen Mann und am Ende dessen Tod und Begräbnis. - Natascha Wodin kreist auch in diesem Buch immer wieder um die Frage nach ihrer Herkunft, nach den Umständen, die ihr Leben als Kind und Jugendliche prägten und bis heute bestimmen. Lesenswert!
Josef Schnurrer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Irgendwo in diesem Dunkel
Natascha Wodin
Rowohlt (2018)
238 S.
fest geb.