Das Verschwinden der Landschaft
Ein Mann im Rollstuhl hinterfragt zunächst erstaunt sein Schicksal, findet aber auf sich selbst gestellt keine Antworten. Er bewohnt nach einer Klinikbehandlung zur Rekonvaleszenz eine Wohnung im sechsten Stock in Ostende. Es gibt für sein Gehirn keinerlei Reize außer den immer gleichen Blick aus dem Fenster auf Meer und Strand, Möwen und Himmel. Als die Pflegerin nicht mehr kommt, ist er völlig isoliert. Sein Gehirn ist in Amnesie versunken. Als sein Blickfeld durch wachsende Betonmauern immer mehr eingeengt wird, verschließt sich sein Fenster zur Welt total, eine Metapher für langsames Sterben. Die Panikgefühle des Mannes sind nachvollziehbar, seine Situation ist ohne fremde Hilfe existenziell bedrohlich. Infolge von Verkennung von Fiktion und Realität sieht er sich körperlich und geistig zerstört. Als kafkaesken Stil könnte man das auf rätselhafte Weise Ausgeliefertsein an das Schicksal bezeichnen. Ausdruck der Bedrohung sind die Amnesie, die verständnislose, unerklärbare Reaktion der Pflegerin und Umwelt, die Größe der Betonwand, das personale Erzählverhalten ohne jegliche Außenbetrachtung sowie das Motiv der drängenden Zeit bei nahender Katastrophe und andere Beispiele mehr. Eine lesenswerte Alternative zu anderen Romanen.
Gudrun Schüler
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Das Verschwinden der Landschaft
Jean-Philippe Toussaint ; aus dem Französischen von Joachim Unseld
Frankfurter Verlagsanstalt (2022)
48 Seiten : Illustration
fest geb.