Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann

Was um alles in der Welt soll sie mit einem Freund anfangen, außer sich von ihm teure Klamotten kaufen zu lassen? Mal abgesehen vom Sex? Die 15-jährige Naomi, die im Heim lebt, hat aufgrund bisheriger Lebenserfahrungen nur sehr begrenzte Vorstellungen, Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann was da noch so möglich wäre. Anders hingegen ihre gleichaltrige Freundin Mo: "Lern ihn kennen ... Find raus, wie er drauf ist. Hilf ihm, seine Träume zu verwirklichen. Halt zu ihm, wenn's ihm dreckig geht. Seid füreinander da." Wenngleich ihre Fähigkeit, sich Dinge auszumalen bezeichnenderweise hier mit der Realisierung der Träume des Partners enden, ist Ich-Erzählerin Mo wohl noch nicht so abgebrüht wie ihre beiden Freundinnen Elaine und Naomi. Zumindest, wenn es um die Vorstellung einer Beziehung geht. Sie ist gerade schwer verliebt in ihren Sandkastenfreund Sam. Er und seine Mutter sind diejenigen, die ihr eine Form von Halt und Zuneigung geben, die sie in ihrem Zuhause vermisst. Die Beziehung zur eigenen Mutter und deren gewalttätigem Freund steht unter permanenter Spannung. In welcher verrohenden Form hier zwischen Mutter und Tochter miteinander gesprochen wird, wie sich die beiden mit Worten und Taten zutiefst verletzen und wozu Mo in ihrer explodierenden Wut fähig ist, legt Wheatle in schonungslos radikaler Art offen. Bezeichnenderweise steigert sich Mo derart in ihren (Rache-)Zorn, dass sie sich von den Gangstern des Viertels für deren Bandenkrieg einspannen lässt. - Im 3. Band der Geschichten aus dem fiktiven Crongton (zuletzt: "Die Ritter von Crongton" BP/mp 19/90) erzählt Wheatle aus weiblicher Sicht vom jugendlichen Leben im sozialen Brennpunkt zwischen brutalem Bandenkrieg, freundschaftlicher Loyalität und der Wahl, das Richtige zu tun. Das Buch ist auch unabhängig von den Vorgängern zu lesen, aber mit deren Wissen ergibt sich ein besonders spannendes Figurengeflecht. Ich-Erzählerin Mo steht von Anfang der Handlung unter sehr großem Druck, ist Opfer häuslicher Gewalt und Vernachlässigung. Leichtigkeit und Unbekümmertheit, die sich bei "Liccle Bit" (BP/mp 18/356) doch auch immer wieder finden lassen, sind hier zu Recht weniger vorhanden. Allenfalls in Mos Sehnsucht nach der romantischen ersten Liebe. Dabei ist es irritierend, wie ruppig und rüde auch die Mädchen über sich und ihre Körper sprechen, macht die Figuren in ihrem Setting aber glaubwürdig. Wie Mo es in dieser Umgebung schafft, Verantwortung zu übernehmen, ist wahrlich bewundernswert. Ihre Fähigkeit zu reflektieren macht sie zu einer starken, tragischen Heldin. Für alle Bestände gerne empfohlen. (Übers.: Conny Lösch)

Anna Winkler-Benders

Anna Winkler-Benders

rezensiert für den Borromäusverein.

Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann

Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann

Alex Wheatle
Kunstmann (2019)

262 S.
fest geb.

MedienNr.: 596359
ISBN 978-3-95614-286-4
9783956142864
ca. 18,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: J
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