Spätdienst
Schon die Widmung des Buches ist "typisch Walser": "Für Gegner ein gefundenes Fressen. Für meine Leser: vielleicht ein Ausflug ins Vertraute". Ob aber seine Gegner nach der Lektüre dieser "Bekenntnisse und Stimmungen" (Untertitel) wieder auf den Autor eindreschen werden, darf bezweifelt werden. Es handelt sich nicht um den lang erwarteten neuen Roman von dem jetzt auch schon hoch betagten Autor oder um eine Sammlung von fast immer in der Öffentlichkeit heftig umstrittenen Essays zu den aktuellen Zeitläuften. In einer sehr ansprechenden äußeren Form sind hier Aphorismen, Gedanken, Sätze, kurze Selbstgespräche auf über 200 Seiten ausgebreitet. Es ist dabei nicht so richtig erkennbar, ob es sich um kurze Aufzeichnungen und Sätze aus größeren Werken des Autors handelt oder ob sie hier tatsächlich zum ersten Mal publiziert werden. "Nichts mehr wissen zu wollen von sich macht sofort unsterblich". Oder die allerletzte Eintragung in diesem Band: "Es tanzen die Blätter im Wind, / wissen nicht, dass sie am Fallen sind". Ein "gefundenes Fressen für Gegner" sind diese Aufzeichnungen ganz bestimmt nicht. Aber in Ruhe gelesen hallen viele dieser kurzen Reflexionen doch sehr lange im Kopf der Lesenden nach. "Wäre es so schlimm, wenn die Bäume uns überleben?" Bis zum nächsten neuen Roman des Autors können sich seine Fans an diesen Sätzen wärmen. Die Gegner werden sie, vermutlich, ohnehin nicht lesen.
Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Spätdienst
Martin Walser
Rowohlt (2018)
206 S. : Ill.
fest geb.