Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?
In einem Wechselspiel zwischen Erzählungen und Betrachtungen beschäftigen sich der Literat Köhlmeier und der Philosoph Liessmann mit zwölf zentralen ethisch-philosophischen Grundbegriffen. Jedes Buchkapitel beginnt mit Köhlmeiers Variation einer
antiken Sage, einer Passage aus dem Alten Testament oder eines Märchens. Darin ist jeweils ein zentraler Begriff eingegrenzt, um den Liessmanns anschließende Interpretation kreist. So konzentrieren sich beide Autoren im Kapitel über den Atridenfluch auf die alles beherrschende "Rache": Jedes erlittene Unrecht muss gerächt und die Ordnung damit wiederhergestellt werden. Allerdings erzeugt jede Rache neues Unrecht, sodass ein unheilvoller Kreislauf entsteht, der über Generationen fortgesetzt wird. An anderer Stelle liefert eine Geschichte aus dem Nibelungenlied, in welcher der Schmid Mime seinen Schüler Siegfried mit kaum zu erfüllenden Aufgaben herausfordert, die Deutungsvorlage: Sollte vielleicht die "Meisterschaft" im Zentrum moderner Bildung stehen und den gegenwärtig vorherrschenden Ansatz, vorrangig die Kompetenzen der Schüler zu fördern, ersetzen? Kölhmeiers einnehmende Geschichten enthalten oftmals überraschende Abweichungen von den bekannten Vorlagen. Umso empfänglicher werden Leser für Liessmanns bedenkenswerte Deutungen. - Allen Beständen empfohlen.
Thomas Völkner
rezensiert für den Borromäusverein.

Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?
Michael Köhlmeier ; Konrad Paul Liessmann
Hanser (2016)
222 S.
fest geb.