Liebeserklärungen
Kaminer hat die Gabe, das Skurrile, das minimal Abweichende, das Bemerkenswerte an einem Vorgang oder Geschehen herauszuklauben. Ein passendes Beispiel ist in diesem Buch die Geschichte von den Vorbereitungen einer pompösen Hochzeit, die den Hotelmanager
schier zur Verzweiflung bringen, zu einem Zeitpunkt, als die Ostsee zugefroren ist. Bis nach Schweden. Er wagt sich aufs Eis - und die Geschichte endet: "Ich habe schon lange nichts mehr vom ihm gehört." Um eine geniale Pleite geht es gleich zu Anfang: Eine Studentin ergattert den Hut ihres Stars und muss sich dann mit Kribbeln auf dem Kopf herumschlagen. Schüsse bei einer Hochzeit in Dagestan sind untergebracht, auch die Hindernisse im Realsozialismus, um einander parteidoktringemäß zu finden; ein Rechtsanwalt, dem die Liebe zu Diddl-Mäusen über alles geht; die Irrungen des Verbandelns via Internet oder junge Frauen, die sich selber im Weg stehen, ob in Moskau, in St. Petersburg oder in einem Yoga-Studio. - Ob Kaminers Sippe wirklich so zahlreich ist? Jedenfalls geben die echten oder gut erfundenen Verwandten herrliche Vorlagen für alle Varianten, einen Partner zu finden oder eben nicht. Damals in der Sowjetunion wie auch heute, nichts und niemand entgeht seiner Fabulierlust. Schmunzeln muss man, mal auch glucksend auflachen, aber breite Pointen sind nicht sein Ding. Und manchmal kommt man ums Mitleiden nicht herum. Gerade die Abwechslung, was Ort, Zeit und Geschicke samt dazu passenden Tonfall der Erzählungen angeht, ist das Buch ein durchgängiges Lesevergnügen.
Denise Müller
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Liebeserklärungen
Wladimir Kaminer
Wunderraum (2019)
248 S. : Ill.
fest geb.